Reviews Crossover 01-2015

* soundtrack * crossover * pop/rock * catalog * jazz * electro * world * x-mas-special *

 

 Einstürzende Neubauten - Lament TIPP!  
 Mute - BMG Rights Management / Rough Trade * film * comic * book *  
 
 
Chapeau, Neubauten! Der wohl beeindruckendste Beitrag zum Gedenkjahr anlässlich des Beginns des "Weltenbrands & großen Schlachtens", in das der 1. Weltkrieg ausuferte. Und das aus läppischen Anlässen, auf den Punkt illustriert mit den Telegrammen, die der deutsche Kaiser Wilhelm & Zar Nikolaj unmittelbar vor Ausbruch austauschten: "The Willy- Nicky-Telegrams". Dann wälzt sich die "Kriegsmaschinerie" unweigerlich heran, rumpelnd, metallisch, quietschend wie ein monströser Tank - mündend in eine perkussiv-orchestrale Kakophonie des Grauens. Kontrast & vergiftete Sahnehaube: das Hymnentext-Amalgam aus "God Save The King" & "Heil Dir Im Siegerkranz", bizarrerweise zur gleichen Melodie sowohl vom Kaiserreich als auch den Verbündeten UK & Kanada verwendet. "Lament" beinhaltet weiter Texte aus dem Schützengraben-Labyrinth, die Marschkapelle The Harlem Hellfighters, die erste afroamerikanische US-Einheit in der Schlacht, historische Wachszylinderaufnahmen und Pete Seegers/Marlene Dierichs Antikriegslied "Sag mir wo die Blumen sind". Die im 1. Weltkrieg komplett zerstörte flämische Stadt Diksmuide hatte die Weitsicht, die theater-erfahrenen Einstürzenden Neubauten im Vorfeld des Jubiläums zu beauftragen. Die in Flandern gestartete Tour, die auch München beinhaltete, pausiert bis zum Jahresende aufgrund einer Verletzung von Mastermind, Groß-Rezitator & Sänger Blixa Bargeld, der die These in den Raum stellt, der 1. Weltkrieg würde sich ebenfalls nur ausruhen - nicht nur historisch nachvollziehbar, leider auch anhand jüngster Entwicklungen. www.neubauten.org  
 
 
 David Sylvian - there´s a light that enters houses with no other house in sight  
 Samadhisound / Galileo MC  
 
 
Popstrukturen wird hier niemand erwartet haben. Der neue Longplayer des Ex-Japan-Frontmanns, der sich in den letzten Jahren konsequent als Konzeptkünstler neu erfunden hat, ist einmal mehr exquisit verpackt. Das von Designer Chris Bigg & dem Meister selbst ausgewählte Digipak-Foto-Artwork von Nicholas Hughes wirkt so düster wie vielversprechend. Ein weiteres avantgardistisch angehauchtes Projekt steht ins Haus - mit einem einzigen, über eine Stunde langen Track, der die gebrochen und wie beiläufig vorgetragenen "Kindertotenwald"-Gedichte des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten US-Dichters Franz Wright mit Klavierakkorden und sparsamer Laptop-Elektronik von Sylvian, Christian Fennesz & John Tilbury ummantelt. Große Kunst oder "beyond inacesssible?" Das ruhige Album entaltet sich dem geduldigen Hörer - und wir haben allemal Geduld mit dem Mann. Einige Kommentare unterschiedlich angetaner Fans. www.davidsylvian.com www.samadhisound.com  

 
 
 David Bowie - Peter and the Wolf  
 Music on Vinyl / Cargo VINYL-TIPP  
 
 
David Bowie war im Dezember 1977 zwar nur dritte Wahl hinter Alec Guiness und Peter Ustinov für die New Yorker Neufassung von `Prokofiev´s´ "Peter and the Wolf" - die vom Thin White Duke eingesprochene Fassung avancierte dennoch zum Kult-Objekt. Den musikalischen Part bestreitet das Philadelphia Orchestra, dirigiert von Eugene Ormandy. Schade lediglich, dass für das Re-Issue-Cover aktuell nicht auf die US-Version des 1978er-Albums zurückgegriffen wurde. Diese zeigte Bowie in einer gelungeneren Fotomontage im Wolfspelz und erschien in grünem Vinyl. In der jetzt vorliegenden Fassung heisst es: Red Seal - Red Vinyl, die B-Seite ist hier Benjamin Brittens "Young Person´s Guide to the Orchestra", ebenfalls vom Philadelphia unter Ormandy eingespielt. Last but not least noch ein interessanter Mashup aus den Tiefen des Netzes: Bowie´s Erzählung kombiniert mit der 1946 entstandenen Disney-Fassung.


Teho Teardo - Ballyturk
Specula - Audioglobe / Rough Trade

1- 1- Ein Album, das in mehrere Rubriken gepasst hätte. Naturgemäß geht es sehr international zu, wenn Italiener auf Iren & Amerikaner treffen - ganz friedlich in diesem Fall. Der italienische Musiker & (Filmmusik-)Komponist Teho Teardo, der bereits mit Lydia Lunch oder Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld arbeitete, vertonte das neue Theaterstück des Dramatikers Enda Walsh (u.a. Drehbuch für Steve McQueens "Hunger"), das im Herbst erfolgreich im Londoner National Theatre lief. "Ballyturk" kann auch abseits der Bühnenbretter bestehen, mit Teardo an allem von Gitarren über Bass & Synthi bis zur Celesta, Lori Goldstons E-Cello, Fugazi-Bassist Joe Lally und Nick Holland vom Balanescu Quartet. Die Stimmen gehören den vom Cover schauenden "Ballyturk"-Protagonisten Cilian Murphy & Mikel Murfi. www.tehoteardo.com
 



 
 

 
 Sound of Yell - Brocken Spectre  
 Chemical Underground / Rough Trade  
 
 
Brockengespenst, aha. Hinter diesem Titel, einem "zuerst auf dem Brocken 8im Harz gesichteten optischen Effekt, der durch eine bestimmte Höhe, Nebel und Schatten erzeugt wird", verbirgt sich in musikalischer Hinsicht in erster Linie schottischer Acoustic Folk, der Improvisation ganz groß schreibt - meist rein instrumental und mit deutlichen Psycedelic- und Jazzanleihen. Das ist die Handschrift von Stevie Jones, seines Zeichens Studiomusiker (u.a. bei RM Hubbert oder Bill Wells & Aidan Moffat) aus der Glasgower Szene. Mit auf dem Album vertreten sind Harmonica-Spieler Stevie Jackson (Belle And Sebastian), Sänger Norman Blake (Teenage Fanclub), Aby Vuillamy an der Singenden Säge und Drummer Alex Neilson (Trembling Bells). Auch als 180g-Vinyl erhältlich. http://soundofyell.co.uk/  
 
 
 The Great Animal Orchestra War / Europhonia  
 Nimbus / Naxos * CMO / Alive  
 
 
Zum Ausklang noch zwei nicht ganz alltägliche Orchesterprojekte: 1- Auf das Lebenswerk des US-Klangtüftlers Bernie Krause wurde schon anlässlich der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung seines gleichnamigen Buches bei Kunstmann eingegangen. Krause arbeitete schon mit den Doors, Bob Dylan oder George Harrison sowie an den Soundtracks zu Kinoklassikern wie "Apocalypse Now", "Rosemary's Baby" oder "Doctor Doolittle" (sic!), bevor er sich auf Natursounds spezialisierte. Einige seiner Alben & Klangsampler sind mittlerweile gesuchte Raritäten. Das jüngste, im July 2014 in Cardiff aufgenommene Projekt mit dem BBC National Orchestra of Wales unter Martyn Brabbins bringt den Biophonie-Pionier & seine Naturstimmen mit dem britischen Komponisten Richard Blackford (u.a. Filmmusik für "City of Joy") zusammen - für ein fünfteiliges Orchesterwerk. Auf der Rückseite geht es passend animalisch weiter: mit Camille Saint-Saens´ "Karneval der Tiere".
www.wildsanctuary.com www.TheGreatAnimalOrchestraSymphony.com 

2- Im Westen nichts wirklich Neues. "Europhonia" enthält verschiedene vom WDR beauftragte Bearbeitungen des 2008 verstorbenen englischen Arrangeurs Steve Gray, des "Meisters der Form & der Orchesterfarben": Volkslieder & Werke bedeutender europäischer Komponisten werden zu musikalischen Streifzügen quer durch die Musikepochen und -genres, eingespielt von der WDR-Bigband gemeinsam mit dem WDR Funkhausorchester. Die Kölner Klangkörper und ihre Solisten widmen sich dabei so unterschiedlichen Werken wie Nino Roras Filmmusik zu Federico Fellinis "8 1/2", "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß oder der Fado-Komposition "Maria da Cruz" aus Portugal. Weiter schottischen Volksweisen, Zigeunerklängen vom Balkan und klassischer Gitarrenmusik aus Spanien. All das unter dem Dirigat von Richard de Rosa. www.cmo-music.de
 





 
 
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