Reviews 6-7-10 Jazz

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 Herbie Hancock - Imagine Project
 
 Various Artists - Sony Classical
 
 

Nicht nur die aufwändige Digipak-Sonderhülle deutet es an - zu Herbie Hancocks 70ten Geburtstag sollte es etwas ganz Besonderes sein, so in etwa das Allerbeste der drei Genrewelten Jazz, Pop und World Music. Im April bereits feierte der genreübergreifend tätige, bedeutende Jazzer seinen runden Geburtstag, dem nun als künstlerisches Signal das "The Imagine Project" (Namedropping: Seal, Pink, India Arie, Jeff Beck - alle bereits im Titelsong zugange, der nach klassischem Balladenintro in einen leichten World-Trab fällt). Doch braucht es letztendlich konventionelle, ausladende (jeweils über siebenminütige) Mainstream-Versionen von wohlbekannten Hymnen wie John Lennons "Imagine" oder Peter Gabriels "Don´t Give Up"
(bei dem John Legend & Pink bei weitem nicht die Intensität des Originals erreichen)? Selbstredend findet hier alles auf höchstem aufnahme- und spieltechnischen Niveau statt und im besten Fall -wie bei Céus "Tempo de Amor"- verbinden sich Jazz, World- und Popelemente tatsächlich zu einem angenehmen Ganzen. Fusion, Mainstream & (World-)Pop als stargespickter Auf-Nummer-Sicher-Hochglanz können jedoch bei einer Größe wie Hancock, der stilbildende Ttel wie "Watermelon Man" oder "Rockit" geschaffen hat, nicht befriedigen. Weiter im Einsatz: Anoushka Shankar, Chaka Khan, Wayne Shorter, Dave Matthews, Manu Katché, Juanes K´Naan, Tinariwen, Los Lobos oder Marcus Miller. www.herbiehancock.com/
 

 
 
 Bajka - In Wonderland
 
 ChinChin Recordsl / Our Distribution TIPP!
 
 
 
Hier erst spät, aber nicht zu spät gelandet ist die erste Solo-Cd der vielbeschäftigten Nu-Jazz-Vokalistin Bajka, die einigen vielleicht von ihren Duftmarken bei Beanfield oder Bonobo bekannt sein dürfte. Geboren in Indien, aufgewachsen in Portugal und Südafrika, derzeit wohnhaft in Berlin, macht sie ihrem Namen (der "Fairytale" bedeutet) auf "In Wonderland", alle Ehre, vertont sie doch die nicht unkomplizierte Transzendenz-Schleife "The Hunting of the Snark" von Lewis "Alice im Wunderland" Caroll. Und das klingt wirklich gut. Davon abgesehen, dass Bajka wohl auch das Telefonbuch auf lohnende Weise intonieren könnte, sind auch die vom Münchner Jerker Kluge mitkomponierten und produzierten Tracks zwischen Jazz, Funk und Hip-Hop tragfähig und abwechslungsreich genug. Und hübsch bunt verpackt ist das Digipak-Ganze auch noch. www.myspace.com/bajkamusic
 

 
 
 Nicola Conte presents Spiritual Swingers
 
 EmArcy / Universal TIPP!
 
 
 
Vom Remixer zum Jazz-Connoisseur. Nicola Contes vielseitige Talente wurden an dieser Stelle schon des öfteren gewürdigt. Auf der vorliegenden "Spiritual Swingers"-Compilation beschreibt er seine "spirituelle" Auswahl aus den reichhaltigen Archiven der Universal angeschlossenen Labels (wie Decca, Geffen, Riverside, Prestige, Verve oder Philips) mit "broad &and wide". Bei den sich abwechselnden Instrumental- und Vocal-Tracks aus den späten 50ern bis zur Mitte der 60er fällt auf, dass im ersten Teil oft Flöten, im zweiten vor allem Saxophone zum Einsatz kommen. Das Projekt wurde in Japan koordiniert, Conte bedankt sich bei DJ-Kollegen wie Tasuo Sunaga oder Toshio Matsuura (UFO). Tracks von öfter dunkler Textur, die sich ihr Geheimnis bewahrt haben. Mt Abbey Lincoln, Mark Murphy, Roy Haynes., Yusef Lateef oder Ahmad Jamal.
 

 
 
 Kenny Graham & His Satellites - Moondog & Suncat Suites
 
 Trunk Records / Groove Attack
 
 

Wunderbarer Re-Release des seltenen Albums von 1957 mit jazzigen Moondog-Interpretationen des Ensembles des Londoner Tenorsaxophonisten & Bandleaders Kenny Graham. Dabei gibt es zunächst die "Moondog-Suite", in deren perkussiv geprägten Strukturen Americana- und Exotica-Verwandtschaft aufscheint. Wie viele (europäische Western sich wohl hier inspirieren ließen? Mit der "Suncat Suite", also Grahams eigenen Kompositionen in ähnlicher Instrumentierung wird es, nach fernöstlich angehauchtem Einstieg, zunächst leichter im Programm ("Sunbeam", "Sunset"), doch auch Graham kehrt wieder zu exotischen Stilmitteln zurück. Das gelungene Cover übrigens ist eine Improvisation "in a sort of 50s way, like Graham would have done" (Johnny Trunk) - das Original zeigte ein Jean Míro-Gemälde, das nicht mehr zu lizensieren war. Nun warten wir auf weitere Ausgrabungen, vom unterschätzten Graham soll es diverse unveröffentlichte Scores geben...
www.trunkrecords.com

 TIPP! & VINYL TIPP!

 
 Georgia Anne Muldrow as: Jyoti - Ocotea
 
 Some Otha Ship - E1 Music / Groove Attack
 
 
 
Wohl das anspruchsvollste Album dieser Ausgabe. Mit "Ocotea" - unter ihrem neuen Pseudonym `Jyoti´ - wagt sich die Ausnahmeproduzentin und Songwriterin Georgia Anne Muldrow auf für sie neues Jazz-Terrain. Beeinflusst von Referenz-Größen wie (vor allem) Sun Ra, aber auch obengenanntem Herbie Hancock, Eric Dolphy oder Charlies Mingus liefert die im Soul & Hip Hop heimische Komponistin überraschend ein instrumentales, mal floatendes, mal sperriges Space-Jazz-Album ab, das ihrem Freigeist in der schwarzen Musik- und Avantgarde Szene weitere Achtung verschafft, obwohl hier vom Hip Hop nur gelegentliche Beats übriggeblieben sind. Hat sich mehrere Hördurchläufe verdient. "She's like religion." (Mos Def)
www.myspace.com/georgiaannemuldrow
 

 
 
 Contemorary Jazz
 
 Various Artists - Tramp Records / Fx Records
 
 

Tramp-Chef und langjähriger Funkster Tobias Kirmayer wildert im Jazz-Terrain. Durchaus mit Gespür und auch nicht im Vintage-Bereich: die erste Genre-Kopplung seines Labels widmet sich dem zeitgenössischen Independent Jazz der letzten Jahre. Nähere Bekanntschaft kann der Hörer u.a. mit dem Cultures of Rhythm-Kollektiv aus New York machen, mit Das Goldene Zeitalter feat. Bajka (s.o.), Jerker Kluges Deep Jazz-Projekt, dem eindrucksvollen, leider verstorbenen Sänger (& Schauspieler) Wayne Bartlett oder dem Münchner Hi Fly Orchestra. Lokalmatadoren und Brüder im Geiste aus fernen Metropolen, die alle ordentlich Soul getankt haben und daher prima ins Labelambiente passen.
www.myspace.com/tramprecords.com www.tramprecords.com
 

 
 
 Soil & Pimp Sessions - 6
 
 Various Artists - Brownswood / Groove Attack
 
 

Kurze Nihongo-Einleitung von DJKentaro, dann geht es gleich mit groovigem Punk-Jazz voll zur Sache. Zwischen Dancefloor, Avantgarde & Free Jazz angesiedelt haut das japanische Kollektiv schonmal eine wilde Version des schon im Original temperamentvollen Brechers "Papa's Got A Brand New Pigbag" raus. Das Cover des Jazz-Standards "Stolen Moments" überrascht mit der Guest-Appearance von Jamie Cullum. Unser Anspieltipp wäre allerdings zuallererst "My Foolish Heart" mit Ringo Shina am Mikro. Sehr lebendig, auch wenn´s den letzten Track nicht gebraucht hätte.

www.myspace.com/soilpimpuk
 

 
 
 Povo - The Yellow Of The Sun In You
 
 Ricky-Tick Records / Groove Attack
 
 

Das Ensemble Povo, mittlerweile erklärtermaßen Dänemarks erfolgreichster Jazz-Export, liefert mit seinem zweiten Album blitzsauber und modern produzierten, klassischen Vocal-Jazz mit diversen Gastinterpret(inn)en): Für vier Songs steht der gestandene, nach langen Mühen verpflichtete US-Jazz-Sänger Andy Bey am Mikro, während beim überraschend-groovigen Bob Dylan-Cover "It's All Over Now, Baby Blue" (und drei weiteren Stücken, u.a. Cans "She Brings The Rain") der junge, in Kopenhagen arbeitende amerikanische Sänger Temu Bacot seine Chance ergreift. Zwei Stücke schließlich singt die Nichte von Andy Bey, Saidah Baba Talibah - und das sind nicht die schlechtesten...
www.myspace.com/povoweb
 

 
 
 Veronica Mortensen - I´m The Girl
Hanne Boel - I Think It´s Going To Rain
 
 beide: Stunt Records / Sunny Moon
 
 

Und nochmal Dänemark: Zwei Sängerinnen zwischen Pop & Jazz "& plenty inbetween". Rickie Lee Jones beispielsweise haben beide Damen (zufällig?) im Programm, die Richtung scheint also klar.
Veronica Mortensen steigt gleich (Klüvers-) bigbandverstärkt mit "Chuck E´s In Love" ein, einem Songklassiker, dem es in dieser Version leider an Leichtigkeit fehlt. Auch der Rest der folgenden Live-Aufnahmen, wie drei Eigenkompositionen oder eine Stevie Wonder-Ballade geraten solide aber ohne den Funken, der die Musical-Fachkraft aus der Armada skandinavischer Interpretinnen herausheben würde.

www.veronica.dk/

Es mag manchen etwas zuviel Drama sein, was Hanne Boel da zuweilen in ihre Interpretationen legt - und zwar von Randy Newman-, Tears For Fears, Lyle Lovett, Charlie Chaplin, Nick Cave-Titen, also einer Interpreten- Liga, wo die Meßlatten hoch liegen. Wenig kommt an die Originale heran oder vermag, es, Nuancen oder alternative Perspektiven hinzuzufügen. Allein zum Piano wäre manchmal etwas weniger Einsatz mehr gewesen. Hat es möglicherweise damit zu tun, dass die erfahrene Dänin sonst eher gegen einen Funk-Band-Background bestehen muß?
www.hanneboel.dk/
Ende Juni bis Mitte August im Nachbarland Dänemark auf Tour...

 



 
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