REVIEWS ELECTRO 01-2017
Sven Väth - In The Mix - The Sound of the 17th Season
Cocoon Recordings / Alive
Vogelzwitschern. Mit einem sanften, siebenminütigen Ambient-Intro in Harald Björks Sabor Latino geht es los. Mit dem ruhigen Einstieg in den Überblick über die 17. Saison, delivered by Väth, Sven Väth bittet der Meister an den Rand der Tanzfläche, um dann ganz allmählich pm-technisch zuzulegen und zu insistieren, sollte man meinen (Hier der Vorgänger Sound of the 16th Season). Doch es folgen erstaunlich viele Filler auf denen jetzt nicht die Welt passiert, auch regelrechte Stopper werden insbesondere auf CD 1 gesetzt. Alles ganz hübsch gemixt natürlich, aber eher an der Bar mitnickend zu verfolgen. Zwischendurch weht Väth selbst als Electrica Salsa-Hallwolke im Roman Flügel-Remix durch den Raum, ansonsten Listening mit überschaubarem Ergebnis, Auch auf der zweiten Scheibe keine Offenbarungen für an genreübergreifenden Elektroklängen Interessierte, bei der Väth/Kölsch-Electro-Begegnun merkt man kurz auf. Insgesamt aber eher für den Techno-Fan. |
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Jus†ice - Woman
Because / Warner
Jus†ice, das aus den beiden DJs Gaspard Augé und Xavier de Rosnay bestehende französische Electronica-Duo aus dem Ed Banger-Umfeld haben für Woman einmal mehr ihr Trademark-Kreuz aufs Cover gehievt. Der Opener tut gleich so als hätte es nie ein Disco-Revival oder die Umarmung von Nile Rodgers bei den Kollegen von Daft Punk gegeben. Ein unverschämt nach vorne gemischter funky Bass, hinter dem sich Synthielinien und ein eingängiger Chor formieren. Wenn später noch Silver Convention-artige Streicher einsetzen, scheint man endgültig in einer Frank Farian-Gedächtnis-Session angekommen - aber: es funktioniert - schon dieser Track wäre den Erwerb des Albums wert. Augé & de Rosnay setzen auch in der Folge, aktuell auch Empire of the Sun nicht unähnlich, auf eingängige Melodien, Harmoniegesang, eklektische 70´s & 80´s- Referenzen, Chöre und allerlei Synthesizer-Effekte. Nach der fulminanten ersten Hälfte bleibt es clever, wenn auch bei etwas abfallender Spannungskurve. |
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Play Tracks 1-3-5,6. |
Francesco Tristano - surface tension
Transmat / Rough Trade
Francesco Tristano wählt einen spektakulären Einstieg in sein aktuelles Album Surface Tension - Ryuichi Sakamotos Main Title aus dem 80er Jahre-Kultfilm Merry Christmas Mr. Lawrence als (sachte) rekonstruierte Rework-Version. Der regelmäßig zwischen den Polen E-Musik, Dancefloor und Crossover changierende Pianist kollaboriert hier auf vier Tracks mit Detroit-Techno-Innovator Derrick May, auf dessen Label Transmat das Album folgerichtig erscheint. Mays Part ist dessen erstes neues Material seit 20(!) Jahren. Tristano hatte schon 2007 von Mays Strings of Life eine Klavierbearbeitung veröffentlicht - ein Kreis schließt sich. Das Werk fällt für Tristanos Verhältnisse bis auf Opener & Outro recht straight technoid aus, die meisten Tracks sind Instrumentals, nur für den vorletzten Track Xokolad bittet er Discobar, Ruthyfrutti & Daryushka ans Mkrophon. www.francescotristano.com |
Play Tracks 1,8. |
Daniel Avery - DJ-Kicks / Prins Thomas - Principe del norte remixes
!K7 / Indigo * Smalltown Supersound / Rough Trade
Get you kicks... Nach Marcel Dettmann ist der aus der südenglischen Küstenstadt Bournemouth stammende DJ/Producer Daniel Avery der nächste Selecter, der für die "DJ-Kicks"-Zusammenstellung an die Pulte tritt. Sein auf satte fast 80 Minuten kommender Kicks-Set besteht aus 16 Tracks, drei davon hat er selbst für die Compilation produziert: Sensation (Rrose Remix), A Mechanical Sky und das abschließende Space Echo. Der 30-jährige Resident des Londoner Kultclubs Fabric ist recht minimal angelegt, mit gelegentlichen sphärischen Momenten. Nicht alles hier ist brandneu, Dungeon von Planetary Assault Systems ist sogar schon fast 20 Jahre alt. Weiterhin finden sich im Tracklisting des Avery Trips Acts wie Artefakt, Shlomo, BLNDR, Ulwhednar, Lewis Fautzi, Slam oder Reeko. Am 27.1. steht schon die nächste DJ-Kicks-Folge ins Haus: mit Matthew Dear an den Reglern. |
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2 Der Remix des Remix des Remix... Das Original Principe del Norte - Album vom skandinavischen Cosmic Disco-Prinz Thomas Moen Hermansen auf Smalltown Supersound war bereits eine PrinsT-Überarbeitung von verschiedenem Ursprungsmaterial und durch Ambient-Ikonen wie The Orb beeinflusst - nun steuern Alex Paterson & Thomas Fehlmann ihrerseits zwei Remixe des Tracks H zum vorliegenden Doppelalbum bei. (Orbient Mix / Heaven Or Hell Remix). Auch Ricardo Villalobos, Dungen, Young Marco, Rob Magill aka Sun Araw oder Hieroglyphic Being aus Chicago sind der Einladung von TMH gefolgt, der höchstselbst noch zwei bisher unveröffentlichte Originale (I & K) draufpackt. web-Prins-Thomas |
The Human League - A Very British Synthesizer Group
Virgin / Universal
Keep Feelin´ Fascination... The Human League, in der Tat eine Very British Synthesizer Group. Eine umfassende Würdigung der britischen Pop-Formation war überfällig, nun legt Virgin sie in adäquater Aufmachung vor (Pete McKee, wie HL aus Sheffield). Dem modischen Einfluß der Band wird auf der Super Deluxe Version DVD (nebst 3 CDs & Buch) Rechnung getragen, aber auch die abgespeckte, vorliegende Doppel-CD ist prallvoll mit Highlights aus der in den letzten Jahren auch live wieder aufgenommenen Karriere, mit Fokus auf den experimentellen Anfängen (Being Boiled) und die herausragende 80´s-Pop-Hitfabrik von Don´t You Want Me über Love Action & The Lebanon bis Human, großteils formidabel gealtert. Der DFA-Katalog beispielsweise wäre ohne Phil Oakey & Co. kaum denkbar. Much respect. |
TIPP |
DJ Shadow - Endtroducing 20th Anniversary Deluxe Edition
Island / Universal
Eine Platte und man hat ausgesorgt. Das gilt zumindest für DJ Shadow, dessen prototypisches (Best of 90´s) Debütalbum Endtroducing jünst 20-jähriges Jubiläum feierte, einst 1996 auf dem britischen Label Mo’ Wax veröffentlicht, als erstes ausschließlich aus Samples bestehendes Album. Shadow ist weitergezogen (s. The Mountain Will Fall) doch gefeiert wird das historische Werk aktuell mit einer dreiteiligen Endtrospective Deluxe-Edition: die enthält 1. das Originalalbum, 2. eine Sammlung von Demos, Alternative Takes und Live-Versionen mit dem Titel Excessive Ephemera, sowie 3. Endtroducing Re-Imagined mit zwölf speziell in Auftrag gegebenen Remix-Arbeiten etwa von Hudson Mohawke, Clams Casino, Salva, Prince Paul, Bondax & Karma Kid und anderen. Josh Davis’ auf dem Cover abgebildeter favourite record shop in Sacramento ist seit längerem geschlossen (Foto: B+). Das Album hat ihn um viele Jahre überdauert. |
Hyphen Hyphen - Times / Empire Of The Sun - Two Vines
Parlophone / Warner * EMI / Universal
Hyphen Hyphens erklärte Vorbilder: Bowie, Madonna, Talking Heads. Ähm ja. Da den gemeinsamen Nenner, ein Bindeglied zu finden, fällt zunächst schwer. Dass das am Konservatorium von Nizza formierte, in Frankreich mehrfach ausgezeichnete Ensemble wohl nach Höherem strebt, scheint klar zu sein, Wer würde sonst Beyoncés Stimmcoach für die Gesangsaufnahmen einfliegen? Stimmlich kommt bei Sängerin Santas (englischen) Vortrag als erstes aber Florence + the Machine in den Sinn - instrumental ist es hier elektronischer. Und viel zu getragen - teils schleppend für unseren Geschmack. Erst beim munteren Uptempo-Track Stand Back kommt Schwung in die Sache und Hyphen Hyphen offenbaren ihr Potential. Play Tracks 8,11,12,15. |
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Aller guten Dinge sind...Drei Jahre hat es gedauert, nun liegt nach Walking On A Dream (2008, Deluxe-Fassung 2010) und Ice On The Dune (2013) mit Two Vines auch das dritte Album des australischen Elektro- und Synthiepop-Duos Empire of the Sun vor, aufgenommen in Hawaii und Los Angeles und einmal mehr voller überbordender Harmoniegesänge & Chöre wie weiland bei 10cc. Da überrascht es auch nicht, dass sich Luke Steele und Nicholas Littlemore für eine Session mit einem weiteren altgedienten Melodiefachmann Zeit genommen haben: Fleetwood Macs Lindsey Buckingham war für Backing Vocals & Gitarrenakzente bei To Her Door mit im Studio. Das Duo versteht aber auch alleine, Melodien nur so aus dem Ärmel zu schütteln - für eine Art Konzeptalbum. Die beiden posieren auf dem Cover inmitten eines Fantasy-Natur-Dschungels, der verfallene Städte wieder für sich reklamiert. Sinnbild für das harmonische Wachstum, dass auch Empire of the Sun für sich anstreben. Play Tracks 1,2,4-7,9-11. |
TIPP |
www.empireofthesun.com Auch wer auf den bunten Fantasy-Kosmos nicht einsteigt - Melodien & Harmonien galore |
Cats & Breakkies - Organic Electro
beide: Hey!blau Records / Groove Attack
Cuts & Breaks von den fünf Musikern Johannes Gottschick (keys), Benedikt Schnitzler (git), Bastian Kaletta (b), Raphael Kaletta (dr) & Wanja Hüffell (soundmix), die mit dem programmatisch betitelten Organic Electro ihr Debütalbum vorlegen. Nach einem Jahr gemeinsamer Arbeit bis zur Aufnahme in den Berliner Traumton-Studios hat man gemeinsame Nenner in aus Techno, House & Electro fußenden Instrumentals gefunden, auf die Stimmsamples (etwa ein überraschender Kinderchor oder NASA-Funkverkehr), Gitarrenlicks und andere Farbtupfer aus Jazz oder Weltmusik gelegt werden. In Track 6 wird ´mit einem Chorarrangement eine bpm-Pause gesetzt. Alle Tracks sind in einem fließenden Mix verbunden. Special Guests: Mohammad Reza Mortazavi, Skinnerbox, Acud und Dieter Polen. Play Tracks 2,4,6. |
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Enigma - The Fall Of A Rebel Angel
Island / Universal
Enigma? Michael Cretu? Im Ernst? "The circle is complete, the legend continues..." Das Pathos ist noch das alte. Im Oktober wurde eine Vorabsingle gelauncht, die bereits nichts Gutes verhieß. Für Sadeness Part II, im Titel direkt an den Part 1-Hit von 1990 anknüpftend war Cretu mangels eigener Melodie-Eingebungen tatsächlich nichts Dümmeres eingefallen, als die Bach zugeschriebene Toccata und Fuge in d-Moll in Zeitlupenschleife unter einen erbarmungswürdigen Vortrag von Sängerin Anggun zu legen. Erstaunlich, das nicht das in gleicher Besetzung stimmiger vorgetragene Mother als Single ausgewählt wurde. Cretu wollte jedenfalls zurück zu den (kommerziell erfolgreichsten) Anfängen. Wenig überraschend also, dass sein neues Album The Fall Of A Rebel Angel einmal mehr angelegt ist als mit Zitaten aus Religion, Literatur und Popkultur oberflächlich vollgepfropftes Epos (Texte Michael Kunze) mit der Cretu-typischen, von Chören verhallten Ambient-Bombast-Soße übergossen. Passend: Künstfälscher Wolfgang Beltracchi malte ein Dutzend Bilder fürs Booklet. Scharlatane unter sich. Der letzte Track des Albums: Amen. Und Daumen runter. |
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FRaktus II
Klangbad (Broken Silence)
Fraktus - das nächste Kapitel. Nach Welcome to the Internet & einigen Liveauftritten fallen die Beteiligten in ein Loch. Optiker & Lichtmangel-Erfinder Bernd Wand, ein Drittel der Band, will weitermachen. Seine Eltern, Mama und Papa Wand, sind willig. Ziel: Auftritt beim Klangbad-Festival. Namensgleich das Label von Faust-Mitbegründer Hans-Joachim Irmler, der solcherlei Positivwerbung 1A findet und mitmacht. Fraktus II ist geboren: Bernd aka Jacques Palminger, Mutter Margit Laue, Irmler und Carsten Meyer aka Erobique (International Pony) als Stargast. Minus Papa Wand, der verstirbt unterwegs - real. Der Rest der Mannschaft baut aus analoger 2nd Hand-Elektronik, NDW-Gedächtnis-Fragmenten und phantasievoll-schrägen Vocals eine sehr spezielle Dada-Sause, bis die Rosa Elefanten einmarschieren und Mama Wand nebst Anhang die Augen zufallen. Als CD und LP erhältlich (letztere inkl. Download & Siebdruckcover). |
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Fraktus Soundtrack * www.fraktus.de |
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